24. Juli 2018
Vor 40 Jahren kam das erste Baby aus dem Reagenzglas zu Welt. Seitdem feiert die Reproduktionsmedizin riesige Erfolge – und arbeitet ständig an neuen Methoden. Zum Beispiel am Baby aus der Hautzelle.
Von Katja Ridderbusch
Wenn man ein Kind bekommen möchte, wird man zukünftig als Erstes zum Hausarzt gehen und sich eine Hautprobe entnehmen lassen. Davon ist Hank Greely überzeugt. Auch von dem Menschen, den man zum zweiten Elternteil seines Kindes erkoren hat, benötigt man etwas Haut. Der Arzt sendet die Proben in die Reproduktionsklinik vor Ort. Im dortigen Labor werden die Hautzellen zu Stammzellen umprogrammiert. Aus den Stammzellen werden Keimzellen gezüchtet.
Eizellen. Spermien. Diese Art von Zellen werden immer nochbenötigt, um Embryos zu erzeugen. Immerhin daran wird sich nichtsändern. Es müssen aber keine Originale mehr sein. KünstlicheKeimzellen erfüllen den Zweck genauso gut – wenn nicht besser.
Wenn die Embryos da sind, werden sie einem strengen genetischen Screening unterworfen. Und dann komme der schwierigste Teil, sagt Greely, dann hätten die Eltern die Qual der Wahl: Welches Embryo soll der Mutter oder einer Leihmutter implantiert oder in einem künstlichen Uterus ausgetragen werden? Nummer 13? Nummer 47? Nummer 268?
Hank Greely verfasst keine dystopischen Romane. Er beschäftigt sich als Bioethiker und Jurist an der Universität Stanford in Kalifornien mit den enormen Fortschritten bei der Erzeugung menschlichen Lebens im Labor. Vor vierzig Jahren wurde in der britischen Stadt Oldham Louise Joy Brown geboren, das erste Baby der Welt, das außerhalb des Mutterleibs gezeugt worden war.
Die Methode galt vielen als unheimlich, unethisch, abartig. Skepsis und Ablehnung seien riesig gewesen, erinnert sich Greely. „Aber dann wurden mehr und mehr Kinder im Labor gezeugt, und die Menschen gewöhnten sich daran.“
Es wurden acht Millionen Kinder in vierzig Jahren. Diese Zahl haben Reproduktionsmediziner anlässlich des Geburtstags von Louise Brown berechnet. Man könnte ein kleines Land mit den Menschen füllen, die ohne die Branche nicht existieren würden. Die In-vitro-Fertilisation, kurz IVF, und andere Methoden der künstlichen Befruchtung sind in den meisten Industrieländern zur Routine geworden.
In noch einmal vierzig Jahren werde die Gewinnung von Keimzellen aus Hautzellen Routine sein, meint Hank Greely. Vielleich sei es sogar schon in zwanzig oder dreißig Jahren so weit.
Alle potenziellen Kinder bekommen ein Genprofil
Die Forschung zur Reproduktionsmedizin boomt, und die Nachfrage nach neuen Technologien ist riesig. Denn die bisherigen Methoden können noch immer nur einem kleinen Teil von Paaren mit unerfülltem Kinderwunsch helfen. Zwar hat sich die Erfolgsrate von IVF-Behandlungen deutlich erhöht, und die medizinischen Risiken – vor allem die Gefahr von Eileiterschwangerschaften und Mehrlingsgeburten – sind geringer geworden.
Doch selbst bei jungen Frauen, der idealen Patientengruppe, und mehreren Behandlungsrunden liegen die Erfolgschancen „selten über 50 Prozent“, sagt Jessica Spencer, Reproduktionsmedizinerin an der Emory-Universität in Atlanta. Schon das sei tragisch.
Noch weniger Aussichten auf eigenen Nachwuchs haben Frauen über vierzig, deren Fruchtbarkeit deutlich sinkt, und Menschen, die von Geburt an zeugungsunfähig sind oder die durch eine Krankheit oder einen Unfall ihre Zeugungsfähigkeit verloren haben. Männer und Frauen, die unter schweren Erbkrankheiten leiden oder die Anlage dieser Krankheiten in sich tragen, können oft kein genetisch eigenes Kind bekommen. Das gilt auch für Frauen- oder Männer-Paare, die sich nach gemeinsamen, genetisch eigenen Kindern sehnen.
All diesen Menschen will die Reproduktionsmedizin in Zukunft helfen – und an ihren Sehnsüchten verdienen. Die Kinderwunschmedizin ist heute schon ein riesiger globaler Markt.
Der nächste große Schritt sei ein standardmäßiges und umfassendes genetisches Screening der Embryonen, sagt Hank Greely, und – wenn nötig – das „Genome Editing“ an Embryonen oder gar an Keimzellen, also die genchirurgische Reparatur von beschädigtem Erbgut mithilfe der CRISPR/Cas-Technologie. Bereits heute können bei einer IVF-Behandlung zahlreiche Erbkrankheiten an den Embryonen über die Präimplantationsdiagnostik identifiziert werden. In Deutschland ist das nur in Ausnahmefällen gestattet, in anderen Ländern gehört es zum Angebot vieler Fruchtbarkeitskliniken.
In der Zukunft werde man im Labor die komplette DNA eines Embryos sequenzieren, sagt Greely, und den Eltern ein vollständiges genetisches Profil der Embryonen bieten, die potenziell ihre Kinder werden könnten: Informationen über früh und spät einsetzende Erbkrankheiten, genetische Dispositionen, zum Beispiel für Diabetes und bestimmte Krebsarten. Und natürlich Informationen über Haarfarbe, Augenfarbe, Hautfarbe sowie Begabungen, Musikalität und sportliche Fähigkeiten zum Beispiel.
Schwierig sei es noch mit der Intelligenz. „Intelligenz ist hoch kompliziert, da sind Hunderte Gene involviert, deren Zusammenspiel wir noch nicht annähernd verstehen“, sagt Greely.
Bleibt das Problem der Menschen zu lösen, die nicht zu eigenen Embryos gelangen können, weil sie nicht über eigene Eizellen oder Spermien verfügen oder diese Zellen nicht nutzen können aus Angst, damit Anlagen für schwere Krankheiten weiterzugeben.
Genetisch eigene Kinder für homosexuelle Paare
Susan und Jake aus Raleigh in North Carolina gehören zu diesen Menschen. Selbst in einer deutschen Zeitung sollen ihre Nachnamen nicht erscheinen. Niemand soll wissen, warum sie noch keine Kinder haben. Susan ist 33 Jahre alt und arbeitet als Sportmanagerin. Als Jugendliche erkrankte sie an Leukämie. Sie gilt als geheilt, kann aber keine Kinder bekommen, die Krebsbehandlung hat sie unfruchtbar gemacht. Ihr Mann Jake, der als Wirtschaftsanwalt arbeitet, ist Träger der Erbkrankheit Mukoviszidose, deshalb möchte er kein Kind zeugen.
Jetzt überlegen Susan und Jake, ein Kind zu adoptieren, sind aber noch unschlüssig. Susan liest viel über die Zukunft der Reproduktionsmedizin. Jake sagt, er habe die Hoffnung noch nicht ganz aufgegeben, dass vielleicht doch noch bald der große medizinische Durchbruch kommt, der ihnen zu genetisch eigenen Babys verhilft. „Aber ich fürchte, wenn diese Methoden verfügbar sind, sind wir zu alt“, sagt Susan.
Susan und Jake könnten von der Weiterentwicklung einer Methode profitieren, die bei Mäusen schon funktioniert hat. An der Universität von Kyoto in Japan wurden vor zwei Jahren gesunde Mäusebabys geboren – entstanden aus den Hautzellen ihrer Eltern. Die Forscher arbeiteten dabei mit sogenannten iPS-Zellen: induzierten pluripotenten Stammzellen. Diese Zellen lassen sich in jede beliebige Zelle umprogrammieren. Eben auch in Keimzellen.
Bei Frauen wie Susan könnte man so Eizellen gewinnen. In fernerer Zukunft könnten von Forschung auch schwule und lesbische Paare profitieren. Es werde zumindest theoretisch möglich, aus männlichen Hautproben Eizellen oder aus weiblichen Hautproben Spermien zu züchten, sagt Hank Greely.
Die Männerpaare müssten dann immer noch nach einer Leihmutter suchen, die den Embryo in ihrem Körper heranwachsen lässt. In Deutschland ist auch die Leihmutterschaft verboten. Aber sie ist auch für Frauen, sie selbst keine Gebärmutter (mehr) haben, die einzige Möglichkeit, ein genetisch eigenes Kind austragen zu lassen. Einige Ärzte haben damit begonnen, Frauen die Gebärmütter ihrer Mütter oder Schwiegermütter zu transplantieren. Doch bisher sind weltweit erst sehr wenige dieser Operationen gelungen.
Eine Alternative wäre die Entwicklung eines künstlichen Uterus. In vielleicht fünfzig Jahren könne es so weit sein, vermutet Hank Greely. Schon lange arbeiten Forscher intensiv daran, aus körpereigenen iPS-Zellen neue Organe zu bilden, Niere, Leber, Herz. Und eben auch eine Gebärmutter. Gelungen ist den Wissenschaftlern bislang nur ein Organ: die Blase.
Ein künstlicher Uterus würde aus den Stammzellen der künftigen Mutter gezüchtet, sagt Greely, und dann an Maschinen angeschlossen, die für die Zufuhr von Blut und Hormonen, die Kontrolle des Sauerstoff- und Glukosespiegels und die Reinigung des Organs sorgen. „Vereinfacht gesagt wäre das ein lebendiger Uterus, der an eine Art Herz-Lungen-Maschine angeschlossen ist.“ Eine Chimäre. Halb lebender Organismus, halb Maschine.
Gewöhnungssache, meint Greely. Die Technologien der Zukunft würden im Laufe der Zeit ebenso akzeptiert werden wie heute die IVF, „wenn die Leute sehen, dass die Kinder keine Hörner haben und gesund sind“. Es bleibe auch noch Zeit, um sich an den Gedanken zu gewöhnen, dass Babys auch aus Hautzellen entstehen können. Vieles sei noch in einer „hochexperimentellen Phase“.
Der Weg in die klinische Praxis sei lang und müsse lang sein. In der Zwischenzeit würden die verschiedenen Staaten entscheiden, welche der neuen Technologien sie überhaupt zulassen werden.
Acht Millionen Babys sind erst der Anfang
Greely erwartet, dass einzelne Staaten den Fortschritt in der Reproduktionsmedizin mit unterschiedlich strengen Gesetzen begleiten werden, je nach Geschichte, Kultur und Rechtstradition. Der Vatikan werde kaum seinen Segen geben, vermutet der Jurist, Deutschland werde die Neuerungen eher schrittweise einführen und strikt regulieren, ebenso zahlreiche Länder in Lateinamerika.
Auf der anderen Seite erwartet er, dass asiatische Staaten, allen voran China, Singapur, Japan und Südkorea, die Technologien zügig annehmen und umfassend anbieten, ebenso wie die USA, Australien und Russland. Die Reproduktionsmedizinerin Jessica Spencer sagt, sie freue sich auf die Zukunft. „Die Neuerungen werden die Reproduktionsmedizin revolutionieren.“
Auch wenn eine sorgsame Sicherheits- und Risikobewertung noch Jahre dauern würde. Niemand könne abschätzen, wie sich Kinder entwickeln, deren Leben mit der Veränderung einer Hautzelle begann.
Ein Grund zur Sorge? Im Gegenteil, sagt Spencer. „Wir sollten die Forschung vorantreiben, sorgfältig, aufmerksam und transparent.“ Die schnellsten Neuerungen erwarte sie übrigens bei der ältesten Methode. Die IVF könne man noch viel erschwinglicher und effizienter machen. Acht Millionen Babys sind erst ein Anfang.
© WeltN24 / Katja Ridderbusch