09. September 2019
9/11 wurde zum Trauma der USA. Der folgende Feldzug gegen den Terror wurde auch mit schmutzigen Mitteln geführt, mit Geheimgefängnissen und Folter. Eine Schlüsselrolle spielte dabei der US-Geheimdienst CIA. Philip Mudd, der einst selbst für die Behörde arbeitete, hat über die ambivalente Mission nun ein Buch geschrieben.
Von Katja Ridderbusch
Der 11. September 2001 – von diesem Tag an war nichts mehr wie zuvor, sagte Philip Mudd, ehemaliger Vizedirektor der Antiterroreinheit beim amerikanischen Auslandsgeheimdienst CIA vor kurzem bei einem Vortrag in Washington, DC. Vor allem die Nachrichtendienste durchlebten einen tiefgreifenden Wandel.
Mudds neues Buch „Black Site“ thematisiert die Rolle der CIA in der Welt nach 9/11. Im Zentrum stehen die Geheimgefängnisse, die außerhalb des amerikanischen Staatsgebietes errichtet wurden und in denen Agenten Terrorverdächtige verhörten – und zwar mithilfe höchst fragwürdiger Methoden.
Der Autor spannt einen weiten Bogen – vom Selbstfindungsprozess der CIA nach dem Ende des Kalten Krieges über die Geburt der schwarzen Gefängnisse bis hin zur Abwicklung und kritischen Aufarbeitung des Black-Site-Programms.
Schlecht vorbereitet auf globalen Terrorismus
9/11 sei nicht ohne Vorwarnung gekommen, schreibt Mudd, und nennt unter anderem die Anschläge islamistischer Terroristen auf das World Trade Center im Jahr 1993 und auf den Zerstörer USS Cole im Jahr 2000.
„Ob es Aktionen von Al-Qaida in New York oder Afrika waren [...]: die Sicherheitsbehörden konnten den anschwellenden Trommelschlag des Terrorismus nicht ignorieren. Doch trotz dieser Ereignisse machte die CIA Terrorismusbekämpfung damals nicht zur höchsten Priorität.“
Die Kursänderung nach 9/11 erfolgte mit Hochdruck: Der Autor beschreibt den Aufbau des Black-Site-Programms und seinen Beginn im August 2002, die Auswahl der Standorte, die Definition der Mission sowie die Methoden zu ihrer Durchsetzung.
Die Vernehmungstechniken waren vom US-Justizministerium abgesegnet. Zu ihnen zählten Schlafentzug, Schläge ins Gesicht, das Einpferchen von Gefangenen in enge, dunkle Räume sowie das berüchtigte Waterboarding – das simulierte Ertränken.
Folter wurde zur offiziellen Verhörtechnik
Die interne Bezeichnung dieser Methoden lautete: „enhanced interrogation techniques“ – verschärfte Verhörmethoden. Ein Euphemismus für Folter. Mudd, der für sein Buch zahlreiche aktive und ehemalige CIA-Mitarbeiter interviewte, erinnert daran: In den ersten Jahren nach 9/11 war die Gefahr von weiteren Terroranschlägen real.
„Das Ausmaß der Bedrohungen war enorm. Wir erwarteten eine zweite Welle von Anschlägen, ein zweites 9/11, anders als beim ersten Mal und wahrscheinlich schlimmer, nicht mit Flugzeugen, sondern mit einer gefährlichen Biowaffe, dem Milzbranderreger Anthrax.“
In den Geheimgefängnissen der CIA saßen nach Angaben der Behörde mehr als 100 Gefangene ein, darunter auch Chalid Scheich Mohammed, einer der Architekten von 9/11. Medienberichten zufolge befanden sich die schwarzen Gefängnisse unter anderem in Thailand, Marokko, Rumänien, Polen, Litauen und im Kosovo. Mit fast anatomischer Präzision beschreibt der Autor deren Ausstattung:
„Die Gebäude waren von außen unauffällig, innen schallisoliert, es gab nur Einzelzellen. Immer war das Licht an, und es gab einen ständigen Geräuschpegel. Vielen, die die Gefängnisse besuchten, fiel die geradezu klinische Anmutung auf. Sie erinnerten sich vor allem an den Geruch, wie in einem Krankenhaus, aseptisch.“
„Wir haben ein paar Leute gefoltert“
Der Folterskandal von Abu Ghraib im Jahr 2004 brachte auch das Gefangenenprogramm der CIA in Verruf. Damals gingen Bilder von amerikanischen Soldaten um die Welt, die irakische Gefangene im Militärgefängnis Abu Ghraib nahe Bagdad misshandelten – und die mit ihren Opfern wie mit Trophäen posierten.
In den Folgejahren wuchs die Skepsis gegenüber der Antiterror-Strategie der Bush-Administration – und die politische Unterstützung für das Black-Site-Programm begann zu bröckeln.
Das Programm endete mit dem Amtsantritt von Barack Obama 2009 – und erfuhr im Rückblick eine radikale Neubewertung. Amerikaner hätten ein paar Leute gefoltert, sagte Obama lapidar bei einer Pressekonferenz 2014. Und damit gegen uramerikanische Werte verstoßen. Worte, die zu einer tiefen Verunsicherung nicht nur in den Rängen der CIA, sondern in weiten Teilen der Geheimdienst-Community führten, schreibt der Autor.
„Was noch vor wenigen Jahren vom Präsidenten gefordert und unterstützt, vom Justizministerium abgesegnet und mit Wissen des Kongresses umgesetzt worden war, galt nun als eine fundamentale Verletzung amerikanischer Werte.“
Rechtfertigen Ergebnisse die Methoden?
Philip Mudd ist ein offener Kritiker von Präsident Donald Trump. Doch sein Buch ist un- und überparteiisch im Wortsinn. Der Stil ist sachlich, der Ton unaufgeregt.
„Ich will das Programm nicht verteidigen, aber ich will, dass die Leute verstehen, wie und warum es damals dazu kam. Es ist in Ordnung, wenn die Menschen harsch über uns urteilen, aber es ist wichtig, dass sie sich vorher in die Zeit zurückversetzen und versuchen zu verstehen, warum wir diese Entscheidungen getroffen haben,“ sagt Mudd.
Bei all seinem Bemühen um Neutralität beantwortet der Autor am Ende die Frage, ob das Back-Site-Programm effizient gewesen sei, mit einem klaren: Ja.
„Der Niedergang des Programms war in gewisser Weise ein Ausdruck seines Erfolgs. Denn es kam nie zu einer zweiten Welle von Angriffen, und Amerika war sicher genug, um sich eine Debatte über die Methoden des Programms leisten zu können. Und es ist gut, dass es diese Debatte gibt.“
Auch wer die Schlussfolgerungen des Autors nicht teilt, dürfte „Blick Site“ mit Gewinn lesen. Philip Mudd schreibt aus der Perspektive eines distanzierten und kenntnisreichen Insiders. Das Buch ist eine informative und souverän geschriebene Chronik des umstrittenen Antiterrorkampfs der CIA, einer ambivalenten Mission im Schatten des Traumas von 9/11.
Philip Mudd: „Black Site. The CIA in the Post 9/11 World“, Verlag Liveright, 272 Seiten, 22,99 Euro.
© Deutschlandfunk / Katja Ridderbusch