08. Oktober 2019
Die USA sind neben Neuseeland das einzige Land der Welt, in dem Direktwerbung für verschreibungspflichtige Medikamente erlaubt ist. Die US-Regierung will die Werbung stärker regulieren, bislang ohne Erfolg.
Von Katja Ridderbusch
Die Chance auf ein längeres Leben, trotz Lungenkrebs im fortgeschrittenen Stadium: Das verspricht – mit ruhigen Bildern in warmen Farben – die TV-Werbung für Opdivo, ein Immuntherapie-Medikament des US-Arzneimittelherstellers Bristol-Meyers Squibb.
Mehr als sechs Milliarden Dollar geben amerikanische Pharmakonzerne jedes Jahr für Medikamentenwerbung aus, Tendenz: steigend. Die USA sind neben Neuseeland das einzige Land der Welt, in dem Direktwerbung für verschreibungspflichtige Medikamente erlaubt ist. Und die sind oft genug sehr teuer.
Im Kampf gegen die ausufernden Gesundheitskosten geraten die hohen Medikamentenpreise immer wieder ins Visier der US-Politik.
Listenpreise für Medikamente sind nicht aussagekräftig
Zuletzt wollte Präsident Trump Pharmahersteller per Gesetz zwingen, am Ende eines jeden TV-Spots den Listenpreis für das beworbene Medikament zu nennen.
Doch ein Bundesgericht schmetterte den Vorstoß ab. Er hätte ohnehin wenig gebracht, meint David Howard, Gesundheitsökonom an der Emory-Universität in Atlanta.
„It’s ineffective, because there‘s no such thing as a single price for a drug.“
Es gebe keinen festen Preis für ein Medikament, sagt Howard. Der jeweilige Preis richte sich danach, wie die einzelnen Krankenkassen mit den Pharmaherstellern verhandelten. Das heißt: Die Listenpreise offenzulegen wäre vielleicht peinlich für die Pharmakonzerne, aber es würde das Patientenverhalten nicht wirklich beeinflussen.
„It may embarrass the drug company, but it wouldn’t really affect what drugs patients choose.“
In Washington ist die Pharmalobby eine der mächtigsten
Viele neuartige Krebsmedikamente kosten bis zu 250.000 Dollar pro Jahr.
Die Pharmalobby weist darauf hin, dass Medikamentenwerbung Patienten über Erkrankungen und Therapien aufkläre. Außerdem rege sie den Dialog zwischen Arzt und Patient an.
Eine Aussage, die Robert Centor schaudern lässt. „Every time it says at the end of those ads, please go talk to your doctor, I shudder.“
Dann nämlich weiß der Internist an der Universität von Alabama in Birmingham: Am nächsten Tag müsse er mit Patienten über Krankheiten sprechen, die sie in der Regel nicht hätten, sagt Centor im US-Rundfunk NPR. Und über Medikamente, die sie in der Regel nicht brauchten. Wie das Potenzmittel Viagra zum Beispiel.
„If you take five minutes away describing why you don’t need the little blue pill …“
Wenn man fünf Minuten lang dem Patienten erkläre, warum er die kleine blaue Pille nicht brauche, verschwende man kostbare Zeit. Schließlich seien für jeden Patienten maximal 15 Minuten eingeplant.
Viele Ärzte fühlen sich von Patienten unter Druck gesetzt
Doch nicht jeder Arzt findet so klare Worte. „Physicians say if a patient is demanding a drug, they often feel pressured to prescribe it.“
Viele Mediziner fühlten sich von ihren Patienten unter Druck gesetzt, das geforderte Medikament zu verschreiben, sagt Gesundheitsökonom Howard. Schließlich seien Ärzte mit eigener Praxis auch Geschäftsleute, und die Patienten ihre Kunden. Und wenn die Kunden nicht zufrieden seien, gingen sie zur Konkurrenz.
„And if they don’t satisfy their consumers the patients may end up going elsewhere.“
Ein weiterer Kritikpunkt: Werbespots für Medikamente verbreiteten häufig irreführende Botschaften – obwohl deren Inhalte von der US-Pharmaaufsicht FDA reguliert werden. Da mag der gesprochene Text wohl korrekt sein.
„For adults with advanced lung cancer called squamous non-small cell previously treated with platinum-based chemotherapy …“
Suggestive Bilder überlagern die Information
Zum Beispiel, dass die Immuntherapie Opdivo nur für Patienten mit einer sehr speziellen Variante von Lungenkrebs geeignet ist, die zuvor mit einer sehr speziellen Chemotherapie behandelt wurde. Aber die Bilder erzählten eine andere Geschichte, sagt David Howard.
„They typically show a middle-aged person enjoying life out in a park.“
Sie zeigten Menschen mittleren Alters, die ihr Leben genießen und in einem Park mit ihren Enkelkindern spielen. Das entspreche allerdings nicht der Realität bei dieser Patientengruppe. Die Worte seien eine Sache, doch die Menschen an den Fernsehschirmen reagierten meist stärker auf die Bilder.
„… they react more strongly to the images they see“.
Howard erwartet nicht, dass die Medikamentenwerbung in absehbarer Zeit verschwindet.
Allein schon, weil die Pharmalobby eine der mächtigsten Interessenvertretungen in Washington ist.
Einer Studie der Yale-Universität zufolge bewirbt der Großteil der TV-Spots übrigens Medikamente für chronische Erkrankungen wie Rheuma und Diabetes – Krankheiten also, die eine lebenslange Geschäftsbeziehung garantieren.
Copyright: Deutschlandfunk/Katja Ridderbusch