28. August 2020

Donald Trump hört in der Corona-Krise ungern auf Experten und gibt eigene Ratschläge. Verschwörungstheorien sind im Aufwind. Aber selbst eine Wahl Joe Bidens würde zunächst nicht viel ändern. Denn das Vertrauen in Wissenschaft und Medizin wird seit Jahren untergraben. 

Von Katja Ridderbusch 

Auf den Stufen des Obersten Gerichtshof in der US-Hauptstadt Washington kam es vor Kurzem zu einer Kundgebung der besonderen Art. Eine Handvoll Männer und Frauen in weißen Kitteln wetterten gegen das „Netz der Angst“, in dem Amerikaner seit Monaten gefangen gehalten würden. Masken seien sinnlos, erklärten sie, außerdem gebe es ein Heilmittel gegen das Coronavirus: das Malariamedikament Hydroxychloroquin.

Die Gruppe nennt sich America’s Frontline Doctors. Allerdings: Kaum einer dieser Ärzte hat an der medizinischen Front, in Notaufnahmen und Intensivstationen, mit großen Zahlen von Covid-Patienten gearbeitet. Einige praktizieren nicht, andere haben einen zweifelhaften Ruf.

So wie eine der Wortführerinnen, Stella Immanuel, Kinderärztin und Predigerin in Texas. Sie sagt manchmal Sachen wie: Viele Medikamente enthielten DNA von Außerirdischen. Oder: Unfruchtbarkeit gehe auf Träume von Sex mit Dämonen und Hexen zurück.

Doch US-Präsident Donald Trump gefiel das Video der protestierenden Ärzte gut, er teilte es auf Twitter. Mehr als 13 Millionen Menschen sahen es allein auf Facebook, bevor die meisten sozialen Netzwerke es löschten, weil es die Regeln gegen Verbreitung von Fehlinformation verletzte. 

Robert Lieberman ist nicht überrascht. „Die Regierung – und zu einem großen Teil auch die Republikanische Partei – hegen ein tiefes Misstrauen gegenüber Experten aller Art“, sagt der Politikwissenschaftler, der an der Johns Hopkins University in Baltimore lehrt, im Gespräch mit WELT. Vor allem Experten aus der Wissenschaft.

Die Ereignisse rund um die Frontline Doctors sind ein besonders bizarres Beispiel für die Kampagne der US-Regierung gegen Vertreter und Institutionen der öffentlichen Gesundheitsfürsorge – gegen alles, was unter dem Begriff „Public Health“ fungiert, öffentliche Gesundheit. Im Zentrum dieser Kampagne steht die US-Seuchenschutzbehörde CDC mit Sitz in Atlanta.

Die CDC, gegründet 1946 als Agentur zur Malariabekämpfung, spielte eine Schlüsselrolle im weltweiten Kampf gegen Pocken, Ebola, Zika und andere Infektionskrankheiten.

Die CDC sei prädestiniert gewesen, auch bei der Eindämmung von Covid-19 eine globale Führungsrolle zu übernehmen, sagt Carlos del Rio, Professor für Public Health an der Emory University in Atlanta, gegenüber WELT. „Hier arbeiten die besten Wissenschaftler der Welt. Die CDC hat große Autorität.“ Doch diesmal kam es anders. Die Behörde sei Opfer der Politik, aber auch ihres eigenen Versagens geworden, betont del Rio.

Gesundheitsbehörde mit Maulkorb

Im Februar wandte sich CDC-Epidemiologin Nancy Messonnier mit einer Warnung an die Öffentlichkeit: Die Frage sei nicht, ob sich das Virus in den USA verbreite, sondern wann. Und: Amerika müsse „sich darauf einrichten, dass es schlimm werden könnte.“ Worte, die im eklatanten Widerspruch zu der Botschaft standen, die Präsident Trump verbreiten wollte. 

Die Lage sei unter Kontrolle, hatte er kurz zuvor erklärt. Trump beauftragte seinen Vize Mike Pence mit der Leitung der Coronavirus-Taskforce. Die CDC stellte ihre regelmäßigen Pressebriefings ein, es gab Berichte, die Regierung habe der Behörde einen Maulkorb verpasst, sie auf ein Nebengleis verbannt. Die CDC antwortete nicht auf eine Interviewanfrage von WELT.

Hinzu kam: Die Corona-Tests, die die CDC in der Frühphase der Pandemie entwickelte, erwiesen sich als fehlerhaft – und trugen zu einer Verzögerung beim Aufbau einer landesweiten Infrastruktur zum Testen bei, von der sich die USA bis heute nicht erholt haben. Im Ergebnis habe „die CDC ihre Führungsrolle in der öffentlichen Gesundheitsfürsorge verloren – und das Land eine respektierte Stimme“, sagt del Rio –, „mit schwerwiegenden Folgen“.

Zum Beispiel, dass ohne die konsistenten und faktenbasierten Leitlinien der CDC die Gesundheitsbehörden der Bundesstaaten und Kommunen, die für die konkrete Umsetzung der Maßnahmen zuständig sind, zum Spielball der Gouverneure und Lokalpolitiker und ihrer jeweiligen politischen Weltbilder wurden, wie der Politologe Lieberman erläutert.

Das führt zu Situationen wie im Bundesstaat Georgia, wo es in der vergangenen Woche mehr tägliche Corona-Neuinfektionen gab als in anderen Gegenden der USA. Die demokratische Bürgermeisterin von Atlanta, Keisha Lance Bottoms, verhängte im Juli eine Maskenpflicht, die der republikanische Gouverneur Brian Kemp vor Gericht anfocht.

Eine investigative Recherchevon Kaiser Health News und der Nachrichtenagentur AP kam zu dem Ergebnis, dass bis Mitte August rund 50 Vertreter von Public-Health-Agenturen ihren Job gekündigt hätten, in den vorzeitigen Ruhestand gegangen oder entlassen worden seien. Die Gründe waren meistens Konflikte über Maskenpflicht und Abstandsregeln.

Immer wieder wurden Mitarbeiter von Gesundheitsbehörden auch körperlich bedroht. In Ohio kündigte die Leiterin der staatlichen Gesundheitsbehörde ihren Job, nachdem bewaffnete Milizen vor ihrem Haus aufgelaufen waren. 

In Colorado verwüsteten Demonstranten zweimal das Auto der Chefin einer lokalen Gesundheitsbehörde. Und selbst der renommierte Immunologe Anthony Fauci, Regierungsberater und Leiter des Nationalen Gesundheitsinstituts für Infektionskrankheiten, berichtete, dass er und seine Familie Todesdrohungen erhalten hätten.

Konflikt zwischen Politik und Wissenschaft

Der Ton der US-Regierung gegenüber Public-Health-Vertretern sei „so offen feindselig, dass Leute geradezu ermuntert werden, gewaltsame Aktionen zu verüben“, sagte der ehemalige CDC-Direktor Tom Frieden gegenüber Kaiser Health News. 

Ganz neu sei der Konflikt zwischen Politik und Wissenschaft nicht, betont Politikwissenschaftler Lieberman, aber „unter der Trump-Administration hat er eine neue Dimension erreicht“. So war in den 1980er-Jahren der Widerstand der Reagan-Regierung groß, die HIV/Aids-Epidemie als öffentliche Gesundheitskrise anzuerkennen.

Erst 1987, sechs Jahre, nachdem der erste Fall in den USA bekannt geworden war und als bereits mehr als 25.000 Amerikaner an dem Virus gestorben waren, hielt Reagan seine erste große Rede zur Aids-Krise.

Während der Aids-Krise lernte auch Fauci, der jedem US-Präsidenten seit Reagan als Berater gedient hat, zwischen den oft widerstreitenden Interessen von Politik und Wissenschaft zu navigieren – „ein Balanceakt, den Fauci sehr gut beherrscht,“ sagt del Rio. 

Aber selbst der krisenfeste Fauci, der trotz öffentlicher Attacken seines Dienstherrn bei der Mehrzahl der Amerikaner großes Vertrauen genießt, wurde zuletzt auf eine harte Probe gestellt. Zum Beispiel, als Trump die Injektion von Desinfektionsmitteln empfahl oder Hydroxychloroquin hartnäckig als Wundermittel anpries – auch dann noch, als die US-Pharmaaufsicht FDA ihre Schnellzulassung des Wirkstoffs zur Behandlung von Covid-19 zurückgezogen hatte.

Lieberman schaut mit Sorge auf die kommenden Monate, wenn die Corona-Epidemie weiter durch das Land zieht und eines Tages ein Impfstoff auf den Markt kommt. „Die Kombination von Wissenschaftsskepsis und politischer Polarisierung hat sich tief in die soziale Identität der USA eingebrannt“, sagt er. 

Selbst ein Sieg des demokratischen Präsidentschaftskandidaten Joe Biden würde kaum einen unmittelbaren Effekt haben. Das jahrelange und von höchster Stelle gesäte Misstrauen in Forscher und Forschung habe die politische Spaltung im Land noch weiter verschärft, sagt Lieberman. Und das sei ein „riesiges Problem für das öffentliche Gesundheitswesen in Amerika“.

Dieser Trend dürfte den Anti-Vaxxers, den Impfgegnern, jedenfalls Auftrieb geben – und fragwürdigen Medizinern wie Stella Immanuel Zulauf bescheren. Die warnte übrigens schon vor Jahren: Wissenschaftler arbeiteten an Impfstoffen, die immun gegen Religiosität machten.

© WeltN24 | Katja Ridderbusch