21. September 2020
Über Ursachen und Folgen der Feuer an der Westküste der USA wird heftig gestritten. Sind es „Klimabrände“? Der amerikanischer Forstwissenschaftler Malcolm North erklärt, welche Fehler gemacht werden – und wie sich die Klimaveränderung auswirkt.
Von Katja Ridderbusch
Seit gut 30 Jahren forscht Malcolm North über Wälder, Waldbrände und Forstmanagement an der Westküste der USA. Die Feuer seien über die Jahre immer schwerer geworden, der Schaden größer, die Wetterbedingungen extremer, sagt der renommierte Forstwissenschaftler. Der Klimawandel spiele eine Rolle, aber nicht die entscheidende.
Eigentlich sollte das Gespräch per Zoom stattfinden, aber North musste wegen der sich rasant ausbreitenden Feuer mit seiner Familie kurzfristig evakuieren. Er sprach mit WELT per Mobiltelefon auf der sechsstündigen Autofahrt von seinem Haus in der Stadt Mammoth Lakes in Zentralkalifornien nach Palm Springs im Süden des Bundesstaates.
WELT: Müssen Sie jedes Jahr während der Waldbrandsaison evakuieren?
Malcolm North: Nein. Wir leben seit 25 Jahren in Kalifornien, und wir mussten noch nie unser Zuhause verlassen. Dieser Sommer ist wirklich einzigartig, ich habe noch nie so viele Feuer zur gleichen Zeit in Kalifornien gesehen, die sich so schnell ausbreiten.
WELT: Was macht die Situation in diesem Jahr so besonders schlimm?
North: Der generelle Trend zeichnet sich seit Jahren ab: Die Anzahl und Schwere der Feuer, der Grad der Zerstörung von Waldland und Wohngebieten und der Verluste von Menschenleben steigen. In diesem Jahr kommt hinzu, dass die Feuerwehrcrews wegen der Covid-Pandemie dünn besetzt sind und deshalb einfach nicht gegen die extrem vielen Feuer ankommen. Ich habe selbst häufig an Waldbrandeinsätzen teilgenommen und kenne den Drill. Die Crews leben während der Feuersaison oft auf sehr engem Raum zusammen, in Containern oder in Wohnwagen. Da ist es unmöglich, Social Distancing zu praktizieren.
WELT: Gibt es genügend Mitarbeiter?
North: Die Feuerwehreinheiten hatten offenbar Probleme, ausreichend Leute anzuheuern – teilweise, weil die Menschen wegen der Pandemie verunsichert sind, teilweise, weil sie aufgrund der zunächst großzügig gezahlten Arbeitslosenhilfe nicht motiviert waren, einen Job anzunehmen – insbesondere einen, der nicht ganz ungefährlich ist.
WELT: Die Waldbrände wüten nicht nur in Kalifornien, sondern auch in den Westküstenstaaten Washington und Oregon. Die sind für ein feuchteres Klima bekannt.
North: Tatsächlich sind Teile von Oregon und Washington sehr trocken, vor allem die Regionen östlich der Kaskadenkette. Westlich des Gebirgszugs ist es ziemlich feucht, da gibt es nur sehr selten Waldbrände. Aber in dieser Saison sind auch dort Feuer ausgebrochen, vor allem in Oregon hat es dort zahlreiche Tote gegeben. Das ist sehr selten, aber in den letzten Jahren waren die Sommer so heiß und trocken, dass der Ausbruch von Bränden auch in den Gebieten, die normalerweise nicht so gefährdet sind, nur eine Frage der Zeit war.
WELT: Kalifornien war immer schon Feuerland. Waldbrände gehören dort zum Erhalt des Ökosystems. Warum gerät die Situation immer mehr außer Kontrolle?
North: Paradoxerweise hat die bisherige Strategie zur Bekämpfung von Waldbränden – die Feuer möglichst im Keim zu ersticken – die Waldbrandgefahr von Jahr zu Jahr erhöht. Wenn man die Feuer unter idealen, relativ milden Wetterbedingungen löscht, dann vertagt man das Problem nur. Die Frage ist dann nicht, ob es zu einem massiven Feuersturm kommt, sondern nur: wann. Unter extremen Wetterbedingungen – große Trockenheit, Rekordhitze und kraftvolle Winde, die die Flammen mit einer Geschwindigkeit von mehr als 80 Stundenkilometern über das Land fegen – sind die Brände dann nicht mehr zu kontrollieren.
WELT: Wie sind die Bedingungen?
North: Je länger und stärker Waldbrände unterdrückt werden, desto mehr tote Bäume und Unterholz sammeln sich an – Material, das leicht entzündlich ist, idealer Brennstoff. Diese Wälder sind dann besonders volatil, brennen schneller. Es ist ein bisschen so wie eine negative Selektion, gewissermaßen ein Darwin’scher Prozess. Da haben die Feuer unter moderaten Klimabedingungen kaum eine Chance, können sich aber unter extremen Bedingungen rasant ausbreiten und gedeihen.
WELT: Sind Waldbrände bei immer extremerem Wetter – Dürre, Hitze, Winde, Blitze – eine direkte Folge des Klimawandels?
North: Die meisten meiner Kollegen sind sich einig: Der Klimawandel ist einer der treibenden Faktoren für die Schwere und Dauer der Waldbrände, er verstärkt die Ausbreitung der Feuer. Vor allem für Kalifornien ist klar dokumentiert, wie über die letzten Jahrzehnte die Waldbrandsaison immer länger wurde, von vier oder fünf Monaten bis zu einer fast ganzjährigen Saison. Und sehr viel hat mit den immer extremeren Wetterbedingungen zu tun. Allerdings ist die Wissenschaftscommunity derzeit noch gespalten, ob es infolge des Klimawandels mehr Blitzaktivität geben wird. Aber der Zusammenhang zwischen Klimawandel, erhöhten Temperaturen und zunehmender Dürre ist ziemlich klar.
WELT: Welche Rolle spielt die Klimapolitik der US-Regierung in den vergangenen Jahren für die wachsende Waldbrandgefahr?
North: Wir müssen Klimawandel und Strategien zur Bekämpfung des Klimawandels immer in einem globalen Kontext sehen, weil die Auswirkungen global sind. Kalifornien zum Beispiel ist ein Bundesstaat, der eine relativ progressive Klimapolitik betreibt. Dort fließt ein Teil der CO2-Emmissionssteuer bereits seit Jahren in die Ausdünnung der Wälder und andere Präventionsstrategien. Aber Kalifornien ist nur einer von 49 Bundesstaaten, und in den USA gibt es bekanntermaßen führende Politiker, die sich als Klimaleugner brüsten. Es gibt auch nicht genug Anreize für die Industrie, die CO2-Emissionen zu begrenzen. Wir dürfen nicht vergessen: Wälder sind die größten terrestrischen Klimasenken weltweit. Wenn alle Wälder der Erde gleichzeitig in Flammen aufgehen würden, dann würde sich der CO2-Spiegel in der Atmosphäre auf einen Schlag verdreifachen. Wälder spielen also eine Schlüsselrolle in unseren Bemühungen, den Ausstoß von Treibhausgaden zu kontrollieren.
WELT: Welche anderen „menschengemachten Faktoren“, neben dem CO2-Ausstoß und der verfehlten Waldbrandbekämpfung, treiben die Feuer in Kalifornien an?
North: Eine weitere Feuerquelle in Kalifornien ist der verstärkte Siedlungsbau in Ökosystemen, die als Chaparral und Oak Woodland bekannt sind, Regionen mit mediterraner Vegetation – Büschen, Sträuchern, Kiefern, Zypressen. In Kalifornien ist die Nachfrage nach Häusern riesig, und immer mehr Siedlungen entstehen in oder in der Nähe dieser Ökosysteme. Dort sind die meisten Stromleitungen überirdisch, sie sind leicht entzündlich und das Feuer breitet sich in dem trockenen Buschland rasant aus – das hat in den letzten Jahren zu zahlreichen Bränden mit vielen Todesopfern geführt. Der problematische Siedlungsbau, die systematische Eindämmung der Waldbrände und die Effekte des Klimawandels – diese Kombination ist der perfekte Sturm.
WELT: Welche Maßnahmen schlagen Sie vor, um diese Entwicklung aufzuhalten?
North: Was das Forstmanagement betrifft, so wissen wir schon lange, was zu tun ist: die jährlich wachsende Masse an Brennstoff aus abgestorbenen Bäumen und Unterholz in den Wäldern reduzieren, die Wälder ausdünnen durch regelmäßige, kontrollierte Brände. Das ist eine Strategie, die langfristig, auf Jahre und Jahrzehnte angelegt sein muss. Leider fehlen bislang der politische Wille und das Geld, um eine solche systematische Brandprävention zu betreiben.
WELT: Und die angesprochenen Siedlungen?
North: Für Häuser, die in den gefährdeten Gebieten des Chaparral- und Oak-Woodland-Ökosystems liegen, gibt es seit 2008 strengere Bauauflagen, aber mehr als die Hälfte dieser Häuser sind vor 2008 gebaut, und es ist einfach zu teuer, sie nach neuen Brandschutzvorschriften umzurüsten.
WELT: Könnten die Erfahrungen mit den Waldbränden in diesem Jahr ein Umdenken einleiten?
North: Ich bin immer hoffnungsvoll, dass besonders schlimme Brandjahre ein paar Lehren bereithalten, wie wir besser mit dem Problem umgehen können. In Kalifornien sehen wir ja schon einen Anfang, da haben die Behörden bereits vor Jahren mit dem Legen von vereinzelten, kontrollierten Bränden begonnen. Aber es braucht einige Zeit, bis diese Maßnahmen umfassend umgesetzt werden, und noch länger, bis sich eine sichtbare Wirkung einstellt.
WELT: Wissen Sie schon, wann Sie nach Hause zurückkehren können?
North: Schön wär’s. Wir werden wohl Woche für Woche entscheiden müssen. Ein Freund und Kollege von mir arbeitet bei der staatlichen Wetterbehörde in Kalifornien, die auch die Brände in der Region um Mammoth Lakes beobachtet. Er sagte mir: Stellt euch auf mehrere Wochen ein. Es kann noch eine Weile dauern, bis die Feuer unter Kontrolle sind.
Zur Person
Malcolm North ist Forscher beim U.S. Forest Service, dem staatlichen amerikanischen Forstdienst, und Professor für Waldökologie an der University of California, Davis, in der Nähe von Sacramento. Er beschäftigt sich derzeit vor allem mit der Struktur des Ökosystems im Sierra-Nevada-Gebirgszug. North studierte Forstwissenschaft an der Yale-Universität in New Haven, Connecticut, und an der University of Washington in Seattle.
© WeltN24 | Katja Ridderbusch