24. März 2020
Viele Glaubensgemeinschaften in den USA nutzen seit langem digitale Technologien und andere kreative Lösungen zur Verbreitung ihrer Botschaften und zur Kontaktpflege mit den Gläubigen. Das kommt ihnen in den Zeiten von Ausgangssperre, Quarantäne und Social Distancing zugute.
Von Katja Ridderbusch
“This is a whole arena for us. And every day seems like a new challenge.”
David Jordan ist leitender Pastor der First Baptist Church of Decatur, einer liberalen Baptistengemeinde in Atlanta im US-Bundesstaat Georgia. Sie wurde während des amerikanischen Bürgerkrieges gegründet und hat schon viel erlebt.
Aber die Corona-Krise sei völliges Neuland für ihn, sagt er. Die Glocken seiner Kirche läuten zwar noch, aber Gottesdienste gibt es nicht mehr. Dafür ständig neue Informationen, neue Zahlen, neue Verordnungen der Kommunen, des Bundesstaates und der Zentralregierung in Washington.
Ich treffe Pastor Jordan in seiner leeren Kirche. Die meisten seiner 20 festen Mitarbeiter hat er nach Hause geschickt, nur eine Handvoll ist noch im Gemeindebüro. Wir sprechen im empfohlenen Abstand von etwa eineinhalb Metern.
First Baptist geht es so wie zahlreichen anderen Gotteshäusern in den USA, in Europa und Asien. Kirchen, Synagogen, Moscheen und Tempel von Miami bis Seattle, von New York bis Los Angeles verriegeln ihre Türen. Jahrhundertealte Rituale kommen zum Erliegen.
“We’re realizing this is not only a safety concern, but an economic concern.”
Die Menschen hätten Angst – um ihre Gesundheit, um ihre Sicherheit, aber auch um ihre wirtschaftliche Existenz, sagt Jordan. In solchen Zeiten hätten die Menschen das Bedürfnis, enger zusammenzurücken. Besonders als Gemeinschaft von Gläubigen, in der Kirche.
“… just the sense of being together with other folks. That’s central to being a church.”
Religiöse Rituale in Zeiten der sozialen Distanz
Doch genau das ist problematisch unter den Geboten von Social Distancing, Ausgangssperren und Quarantäne.
Schließlich sind für das traditionelle Kirchenleben physische Präsenz und direkter menschlicher Kontakt essentiell: gemeinsames Gebet und Gesang, der Friedensgruß, das Abendmahl, die Taufe, die Ölung.
“We’re currently still trying to figure out how to be creative, offer people a sense of inspiration.”
Pastor Jordan und sein Team versuchen, neue, kreative Wege zu finden, auch aus der Distanz mit ihren Gemeindemitgliedern im Gespräch zu bleiben, sie einzubinden, zu inspirieren.
Seit 10 Tagen predigt Jordan online, seine Mitarbeiter laden zu Bibelkreisen via Skype, sogar die Chorprobe soll jetzt per Videokonferenz stattfinden. Es gibt eine interaktive Website, eine Facebook-Gruppe für Gemeindemitglieder, einen YouTube-Kanal, Twitter und Instagram.
US-Kirchen tun sich leichter beim Umzug in den digitalen Raum
Matt Snyder ist verantwortlich für Kommunikation bei First Baptist.
“I’ve seen a huge uptick in engagement. I’m personally, as a millennial, very surprised that the number of older adults.”
Seit Beginn der Krise habe das Engagement der Gemeindemitglieder in den sozialen Medien deutlich angezogen, sagt er. Vor allem bei den Älteren, das habe ihn als Millennial positiv überrascht. Er ist überzeugt: Technologie helfe den Menschen, miteinander verbunden zu bleiben.
“It’s been really cool to see how technology has played a role in helping us all remain connected.”
Vor allem die großen Kirchengemeinden in den USA sind für die Anforderungen der sozialen Distanz besser aufgestellt als die meisten Gemeinden in Europa, tun sich leichter beim Transfer ihrer Arbeit in den digitalen Raum.
So gehört das Live-Streaming von Gottesdiensten seit längerem zum Standard vieler Kirchen in den USA, ebenso wie das Posten von erbaulichen Videobotschaften und interaktiven Bibelstudien. Fernsehprediger, professionell produzierte TV-Gottesdienste und Megakirchen mit zehntausenden Plätzen haben eine lange Tradition.
„Hello Lakewood, we want to tell you how much we love you.”
So bewarben Joel und Victoria Osteen, Predigerpaar der Lakewood Mega-Church in Texas, in der vergangenen Woche in einer Videobotschaft ihren Online-Gottesdienst.
“We are looking forward to seeing you, not in person, but we’ll see you online.”
Eine weitere sehr amerikanische Tradition sind Drive-in-Gottesdienste. Die finden häufig in ehemaligen Autokinos statt, sind besonders in Florida und Kalifornien populär und praktizieren ihrem logistischen Wesen nach soziale Distanz.
Persönliche Besuche bleiben Kern der Seelsorge
Doch es bliebt eine Gruppe von Gläubigen, bei denen die mobilen, die kreativen, die High-Tech-Lösungen nicht greifen. Die sind vor allem Ältere, Arme und Kranke.
“The ongoing struggle we have is to help people who are not connected to social media.”
Pastor Jordan will sicherstellen, dass er und sein Team auch mit den Gemeindemitgliedern Kontakt halten, die keine sozialen Medien nutzen oder nutzen könnten, die allein zu Hause oder in Alten- und Pflegeheimen leben. Ehrenamtliche Mitarbeiter bringen ihnen Lebensmittel und Haushaltsartikel an die Türe, organisieren Fahrdienste zu Ärzten.
Für die Seelsorge greift Jordan außerdem auf das altmodische Modell der Telefonkette zurück.
Regelmäßige Anrufe könnten vielen Menschen schon helfen, sich eingebunden zu fühlen, zu wissen, dass jemand auf sie achtgebe sagt er. Aber wenn ihm ein Gemeindemitglied sage: ‚Ich fühle mich wirklich einsam‘, dann werde er diesen Menschen selbstverständlich auch persönlich besuchen – unter all den gegebenen Sicherheitsvorkehrungen.
“I’m going to visit them. I will do all I need to do, wash my hands, keep my distance.”
Er habe im Moment mehr Fragen als Antworten, räumt Jordan ein. Er teilt diese Unsicherheit mit seinen Kollegen aus anderen Glaubens- und Religionsgemeinschaften. Wie sollen sie mit anstehenden Taufen, Hochzeiten, Erstkommunionsfeiern, Konfirmationen, Bar- und Bat-Mitzwas verfahren? Und: Wie sieht es mit Beerdigungen aus?
„I don’t know. It’s a bridge we haven’t crossed.”
Seit seine Kirche geschlossen ist, habe es in seiner Gemeinde noch keinen Todesfall gegeben, sagt Jordan. Wenn es soweit sei, werde er wahrscheinlich eine Bestattung im kleinsten Kreis organisieren und später, irgendwann, wenn die Krise vorüber sei, einen Gedenkgottesdienst für die verstorbene Person.
„Dies ist die Zeit, in der die Kirche gefordert ist.“
Doch bei all den offenen Fragen, die er jeden Tag aufs Neue zu beantworten versucht, sei eines sicher, sagt Pastor Jordan:
“This is the time when the church really becomes the church.”
Dies sei eine Zeit, in der die Kirche gefordert ist. Kirchen müssten für die Menschen präsent sein, wie auch immer. Sie müssten erfinderisch sein, um zu helfen, zu beruhigen, Hoffnung zu geben. Und seine Gemeindemitglieder sollten wissen: Er und sein Team seien weiter für sie da.
“And so, we’re going to keep hanging in there.”
© Deutschlandfunk | Katja Ridderbusch