18. August 2020

Mit ihrem Arbeitsplatz verlieren viele Amerikaner auch ihre Krankenversicherung – und tragen aus Angst vor Arztkosten und Quarantäne zum weiteren Anstieg der Corona-Infektionen bei. Ein Teufelskreis. 

Katja Ridderbusch · Corona in den USA: Arbeitslos und ohne Krankenversicherung

Von Katja Ridderbusch

„The Coronavirus pandemic has left millions of Americans out of work.“

Tag für Tag, Woche für Woche vermelden die Fernsehnachrichten in den USA neue düstere Statistiken: Rekordzahlen von Infizierten, ein Heer von Arbeitslosen, Anklänge an die Große Depression der 1930er-Jahre. Im April hatte die Arbeitslosenquote in den Vereinigten Staaten einen Höchststand von 14,4 Prozent erreicht, mittlerweile liegen die Zahlen bei gut 10 Prozent.

Die Corona-Krise legt auch einen Konstruktionsfehler des US-Gesundheitssystems offen. Fast zwei Drittel der Amerikaner sind über ihren Arbeitgeber versichert. Das heißt:

„Wenn Leute ihren Job verlieren, verlieren sie oft auch ihre Krankenversicherung“, sagt David Howard, Gesundheitsökonom an der Emory-Universität in Atlanta.“

Eine Studie der Kaiser Family Foundation kam vor kurzem zu dem Ergebnis: 27 Millionen Menschen haben infolge der Krise ihren Versicherungsschutz verloren.

Einige Unternehmen schicken ihre Angestellten in Zwangsurlaub – unbezahlt, aber unter Beibehaltung von Sozialleistungen. In anderen Fällen können Betroffene sich bei Medicaid, der staatlichen Krankenversicherung für Arme, einschreiben, aber die Regeln variieren von Bundesstaat zu Bundesstaat, und die Wartelisten sind lang.

Verschobene Arztbesuche belasten die Wirtschaft

Wer nicht versichert sei, müsse die oft hohen Kosten für medizinische Behandlungen aus eigener Tasche zahlen, sagt Howard. Die Folge: Die Leute gingen meist gar nicht zum Arzt.

Langfristig werde das den Schaden für Gesundheitssystem und Wirtschaft weiter erhöhen.

Aber nicht nur ehemalige Angestellte verlieren mit dem Job ihren Versicherungsschutz. Auch Selbstständige können sich jetzt häufig keine Krankenversicherung mehr leisten. Leute wie J.R., freischaffende Lehrerin für Kinder mit Entwicklungsrückstand. Sie lebt in Atlanta, führt auf Vertragsbasis Förderkurse an Schulen durch.

J.R. hatte erst gerade eine der staatlich subventionierten Policen erworben, die es seit dem Inkrafttreten von Obamacare gibt. Ihr Monatsbeitrag: 120 Dollar.

Doch dann sei COVID gekommen, sagt J.R. im Videocall. Die Schulen hätten geschlossen, sie habe kein Geld mehr verdient.

Da sie nicht wusste, wie schlimm die Pandemie werden würde, war ihre Furcht groß, lebensnotwendige Dinge nicht mehr bezahlen zu können – Miete, Strom, Wasser, Lebensmittel.

Sie habe sich entscheiden müssen, sagt sie: Krankenversicherung oder Vorbereitung auf COVID? Sie entschied sich für die Vorratshaltung und kündigte ihre Versicherung.

J.R. leidet jedoch unter chronischer Blutarmut, sie hat Rückenprobleme und schwere Arthritis. Im Moment behilft sie sich mit Hausmitteln. Ihre größte Angst: ins Krankenhaus zu müssen.

Die Kosten würden sie erschlagen, sagt sie, sie würde wahrscheinlich obdachlos.

Unversicherte vermeiden COVID-Tests

In Zeiten der Pandemie habe der Teufelskreis aus dem Verlust von Arbeit, Krankenversicherung und sozialer Stabilität noch eine zusätzliche, besonders fatale Komponente, sagt Gesundheitsökonom Howard: Wer keine Krankenversicherung hat, dürfte zögerlicher sein, sich auf COVID testen und behandeln zu lassen und könnte so dazu beitragen, das Virus weiter zu verbreiten.

Zwar hat die Regierung zugesichert, dass Tests und Behandlung für Unversicherte kostenlos seien. Doch viele Menschen sind skeptisch.

Sie selbst suche gerade einen Job, sagt J.R.. Wenn sie sich testen lasse und das Ergebnis positiv ausfalle, müsse sie 14 Tage in Quarantäne. Dann könne sie weder Arbeit finden noch Geld verdienen. Deshalb würde sie sich die Sache mit dem Testen zweimal überlegen.

© Deutschlandfunk / Katja Ridderbusch