30. August 2021

"The Premonition": Der US-Bestsellerautor Michael Lewis hat ein Buch über die Vorgeschichte der Corona-Krise, über Systemversagen, Missmanagement und tapfere Antihelden geschrieben. Hollywood wartet schon.

Katja Ridderbusch · Michael Lewis: "The Premonition. A Pandemic Story"

Von Katja Ridderbusch

“You’ve got 19 dead, you’ve got 100s more infected, and it’s spreading like a brushfire … 

Eine Szene aus dem Film “Outbreak“ von 1995. Dustin Hoffman als Virologe im Dienst der US-Armee warnt seinen Vorgesetzten vor der rasanten Verbreitung eines neuartigen Virus. 

… and we’re already in deep fucking shit …”

Aus einem Katastrophenfilm à la Hollywood könnten auch Plot und Protagonisten des neuen Buches von Michael Lewis stammen. „The Premonition“ – zu Deutsch etwa: die Vorahnung – steht seit Wochen auf den US-Beststellerlisten. Es sind die ungewöhnlichen, aber wahren Geschichten lebender Personen, sagt der Autor im Rundfunk NPR:

„Ich fand es selbst schwer zu glauben, dass es diese geheime Gruppe von Ärzten und Wissenschaftlern gab. Sie arbeiteten in oder im Umfeld von staatlichen Behörden, kannten sich seit 15 Jahren und kamen immer zusammen, wenn es galt – oft außerhalb der offiziellen Kanäle – bei einem Krankheitsausbruch das Krisenmanagement zu koordinieren.“

Michael Lewis gilt als Meister des narrativen Journalismus. Seine Bücher sind Garanten für solide Unterhaltung und legen mit sicherem Gespür den Finger in gesellschaftliche und politische Wunden.  

In „Wall Street Poker“ rechnete er mit der Amoral der Finanzbranche ab. Seine Beststeller „The Big Short“ über die Immobilienkrise 2007, „The Bind Side“ und „Moneyball“ über die Welt des Profisports wurden verfilmt.

Das Rezept ist stets das Gleiche: Der Autor nähert sich seinem Thema über die Geschichten real existierender Personen. Das ist vorhersehbar, aber es funktioniert. Auch in „Premonition“.  Die „New York Times“ schreibt über Lewis‘ neuestes Werk:

„Seine Protagonisten sind Covid-Kassandras – gesegnet mit der Gabe, das Kommende präzise vorauszusehen. Und zugleich verflucht, weil ihnen niemand Glauben schenkt.“

Lewis‘ Trick: Er erzählt die Geschichte antizyklisch, sein Interesse gilt weniger dem Ausgang als vielmehr der Vorgeschichte der Corona-Pandemie in den USA - und ihres Missmanagements.

Seine Helden – oder eher: Antihelden – sind Außenseiter, die jenseits des Mainstreams operieren, brillant, aber mit teilweise krummen Lebensläufen: Mediziner, Datenanalysten, Gesundheitsmanager, die zusammenfinden, gerade weil sie so verschieden sind. 

Lewis beschreibt zwei seiner Protagonisten, die Ärzte Richard Hatchett und Carter Mecher: 

„Richard borgte sich gerne eine gute Formulierung, Carter ein nützliches Werkzeug. Richard arbeitete von oben nach unten, Carter genau umgekehrt: Es gab kein Detail, keine Person, die zu banal waren, um seine Neugierde zu wecken. Richard hat jedes Klassenzimmer als Bester verlassen. Carter hat das Klassenzimmer oft einfach nur verlassen.“

Hatchett und Mecher, der pragmatische Akademiker und der kreative Praktiker lernten sich 2005 kennen. Der damalige Präsident George W. Bush hatte gerade ein Buch über die Spanische Grippe von 1918 gelesen und war so erschrocken, dass er einen Krisenstab damit beauftragte, schnellstmöglich einen Pandemie-Notfallplan zu erarbeiten.  Ein Plan, der später in den Ablagen der Bürokratie verschwand.

Star unter Lewis Protagonisten ist Charity Dean, eine Infektionsmedizinerin, die während der Corona-Krise als Vize-Chefin der Agentur für Öffentliche Gesundheit in Kalifornien arbeitete.  Dean, zierlich, blond, furchtlos, war nach Lewis Darstellung eine heroische Ruferin in der Wüste; ihre frühen Warnungen verhallten ungehört, ihre Versuche zur Bekämpfung des Virus wurden von Vorgesetzten ausgebremst.

Insbesondere in den Kapiteln über Charity Dean beschleicht den Leser bisweilen der Verdacht, dass der Autor die journalistische Distanz zu seiner Protagonistin verliert.  

„Um ihren Job zu machen, musste sie so mutig sein, dass es mir bisweilen Tränen in die Augen trieb. Überall in ihrem Haus hatte sie Post-it Zettel mit inspirativen Sprüchen kleben, zum Beispiel: Mut ist trainierbar. Man muss sich Charity wie eine Kommandeurin im Schützengraben vorstellen. Ihre Vorgesetzten, die Generale, verstehen nicht, was an der Front passiert, und sie muss ganz allein einen Schlachtplan entwerfen.“

Der Autor analysiert messerscharf das Systemversagen, das zum Missmanagement der ersten Corona-Monate in den USA führte.

„Das war der perfekte Sturm. Es gibt in unserem Land kein allgemeines Gesundheitssystem. Seit Jahren haben verschiedene Administrationen es zugelassen, dass die Gesundheitsbehörde CDC immer stärker politisiert wurde und damit immer zögerlicher agierte. Was wir als Folge erlebt haben und bis heute erleben, ist ein System der institutionalisierten Feigheit.“

Und auch ein System institutionalisierter Inkompetenz:  Lewis beschreibt, wie ein großes Labor sich unfähig zeigte, kostenlose Covid-19-Tests durchzuführen – und zwar schlicht, weil dessen Computersystem keine Nullsummen zuließ. Ein Hersteller von Sanitätsartikeln lieferte Q-Tips statt Abstrich-Stäbchen, ein anderer gar Wimpern-Bürsten.

Mit „The Premonition“ hat Michael Lewis einen Doku-Thriller zur Corona-Pandemie vorgelegt, den ersten seiner Art ­– informativ, souverän erzählt, griffig geschrieben – und mit einer ebenso pointierten wie beunruhigenden Schlussfolgerung: 

„Zwischen dem Heilmittel und dem Patienten steht in den USA häufig der medizinisch-industrielle Komplex – und der ist geprägt von Lethargie und Habsucht zugleich.“

Michael Lewis: The Premonition. A Pandemic Story. New York (W. W. Norton & Company) 2021, 320 Seiten, 13.29 Euro

© Deutschlandfunk / Katja Ridderbusch