22. November 2021

Amerikas Polizisten stehen in der Kritik, sind mit Vorwürfen von Rassismus und exzessiver Gewalt konfrontiert. Die Rechtsprofessorin Rosa Brooks wollte die Welt der Cops von innen kennenlernen, trat dem Reservecorps der Polizei in Washington DC bei und hat ein Buch über ihre Erfahrungen geschrieben: „Tangled Up in Blue“.

Katja Ridderbusch · Rosa Brooks: "Tangled Up in Blue. Policing the American City"

Von Katja Ridderbusch

Defund the Police – Kein Budget mehr für die Polizei: Das wurde zum Schlachtruf in den USA, als im vergangenen Jahr Hunderttausende gegen Polizeigewalt auf die Straßen zogen. Polizisten wurden zu Zielscheiben von Kritik, Wut, Missachtung.

Rosa Brooks, Rechtsprofessorin an der Georgetown University in Washington D.C., hat jetzt ein etwas anderes Buch über Polizeiarbeit vorgelegt.  Der Titel, „Tangled Up in Blue“ – zu Deutsch etwa: Verheddert im Blau - ist einem Song von Bob Dylan entliehen. Blau ist die Symbolfarbe der Polizei in den USA.

Brooks, Tochter der linken Aktivistin und Autorin Barbara Ehrenreich, entschied sich 2015 – mit Mitte 40 – Polizistin zu werden. Sie trat dem Reserve-Corps der Polizeibehörde in der amerikanischen Hauptstadt bei. Im Videocall spricht sie über ihre Motivation:

„Mich hat das Verhältnis zwischen Gesetz und Gewalt schon immer interessiert. Die Polizeikultur in den USA, und vermutlich nicht nur hier, ist sehr undurchsichtig. Und da eröffnete sich die großartige Chance, diese Kultur von innen kennenzulernen, zu erleben, welche Geschichten sich Polizisten untereinander erzählen, was sie über ihre Rolle und ihre Arbeit sagen.“

Herausgekommen ist ein intimes Porträt aus der geschlossenen Welt der amerikanischen Cops. Wie in Dylans Song, so ist auch in Brooks Buch das Leitmotiv Ambivalenz. Die Autorin beschönigt nicht, aber sie betreibt auch kein plumpes Polizei-Bashing. Gleich zu Beginn des Buches skizziert sie das Dilemma, dem Polizisten in den USA ausgesetzt sind.

„Polizisten haben einen Job, der eigentlich nicht zu leisten ist. Wir erwarten von ihnen, dass sie Krieger, Ordnungshüter, Beschützer, Vermittler, Sozialarbeiter, Erzieher und Sanitäter sind, alles in einem. Sie müssen Recht und Regeln durchsetzen, die sie nicht gemacht haben, in einem sozialen Kontext, auf den sie kaum Einfluss nehmen können.“

Das Buch gliedert sich in drei Teile: Brooks Entscheidung, Polizistin zu werden. Ihre Ausbildung an der Polizeiakademie. Und ihre Erfahrungen auf der Straße. Sie patrouilliert im 7. Distrikt in Washington DC, wo viele Afroamerikaner leben, wo Armut und Kriminalität wuchern. 

Häufig werden Brooks und ihre Kollegen zu Einsätzen bei häuslicher Gewalt gerufen. Die Autorin zeichnet ein lakonisches Panorama des alltäglichen, banalen Elends.

„Wir betraten die Wohnung, stiegen über mehrere Haufen von Hundescheiße auf dem Teppich. In dem Zimmer gab es keine Möbel außer einem kleinen Tisch an der Wand. Vier oder fünf Kinder liefen herum, einige in Windeln, keines älter als fünf.“

Brooks beschreibt den geringen Handlungsspielraum von Polizisten, vor allem von Streifenpolizisten. Sie erfahren nur selten, wie die Geschichten der Menschen enden, denen sie begegnen. Darunter Menschen, die sie festnehmen müssen, obwohl sie eigentlich eher Opfer als Täter sind. Wie die obdachlose Frau, die im Supermarkt Lebensmittel für ihre Kinder stiehlt. Oder die verwahrloste 17-Jährige, die sich mit ihrer Mutter schlägt.

Bei allem Respekt gegenüber ihren Kollegen umgeht die Autorin aber auch schwierige Fragen nicht – wie die Debatte über Polizeigewalt und systemischen Rassismus.

„Beim Training in der Polizeiakademie war das nicht Teil des Curriculums. Wir haben gelernt, wie man Handschellen bei einer Person im Sitzen und im Stehen anlegt. Wir haben gelernt, wie wir Formulare ausfüllen und welche Farbe der Kugelschreiber haben soll. Aber wir haben nicht über Polizeiarbeit, Rassismus und Gewalt gesprochen. Keine dieser größeren gesellschaftlichen Fragen war ein Thema.“

Gewalt und Proteste des vergangenen Jahres haben noch einen anderen Trend in den USA befördert: Polizisten quittieren in Scharen den Dienst. Brooks ist nicht überrascht.

„Polizist zu sein ist ein mühseliger Job, und viele sind nach ein paar Jahren zynisch, ausgebrannt, traumatisiert. Cops sind echte Blue-Collar-Arbeiter, ihre Schichten sind lang, sie sind bei sengender Hitze und strömendem Regen im Einsatz. Und sie sehen meist das Schlechteste von den Menschen. Alkohol- und Drogenmissbrauch sind unter Polizisten weit verbreitet. Jedes Jahr sterben mehr Cops durch Selbstmord als im Einsatz.“

Hinzu komme das aktuelle politische Klima, die feindselige Beobachtung durch Medien und Öffentlichkeit, sagt Brooks. Dabei halte sie es für wichtig, dass Menschen, denen die Macht über das Leben anderer anvertraut werde, unter genauer Kontrolle stünden.

"But as an underpaid, overworked, exhausted human being … "

Aber für jemanden, der schlecht bezahlt und tief erschöpft sei, stelle sich das anders dar. Bei fast jedem Einsatz versammelten sich Leute mit Handykameras und warteten nur darauf, dass die Polizisten einen Fehler machten. Viele Cops hätten das Gefühl: Der Job ist hart genug, und jeder hasst mich. Und das sei demoralisierend, sagt die Autorin.

"It’s very demoralizing, and a lot of them leave."

Auch Brooks hat ihren Job als Reserve-Polizistin mittlerweile aufgegeben. Doch gemeinsam mit der Polizeibehörde von Washington und der Georgetown University hat sie ein Stipendium für junge Polizisten ins Leben gerufen, „Police for Tomorrow“, also „Die Polizei von morgen“. Bei dem Programm steht die größere gesellschaftliche Rolle der Polizei im Mittelpunkt – jene Diskussion, die die Autorin bei ihrer eigenen Ausbildung vermisst hat.

„Tangled Up in Blue“: Rosa Brooks liefert einen seltenen Blick auf Polizisten, Polizeiarbeit und Polizeikultur in den USA – eine informative und griffig geschriebene Innenansicht, aufgebrochen durch Fragen aus der Distanz und dabei ganz ohne moralischen Zeigefinger. Das Buch ist ein empathisches, unterhaltsames und differenziertes Plädoyer für eine ebenso ambivalente wie faszinierende Berufsgruppe in instabilen Zeiten.

Rosa Brooks: Tangled Up in Blue. Policing the American City. New York, Penguin Press, 2021, 384 Seiten, 25,80 Euro

© Deutschlandfunk | Katja Ridderbusch