10, Januar 2021
Zittern, Geruchsverlust, steife Muskeln: Das sind Symptome von Parkinson, die nun auch bei einigen Corona-Patienten beobachtet werden. Studien untersuchen aktuell die Zusammenhänge – droht die Hirnkrankheit zu einer Corona-Spätfolge zu werden?
Von Katja Ridderbusch
Eigentlich wollte Michael Okun sein neues Buch „Die Parkinson-Pandemie“ nennen, aber der Verlag in den USA entschied sich für einen anderen Titel: „Ending Parkinson’s“, Parkinson beenden.
Ein bisschen ärgert sich Okun darüber. Der Begriff Pandemie ist ihm wichtig, weil sich auch die Erkrankung, auf deren Erforschung und Behandlung er sich spezialisiert hat, weltweit ausbreitet, die Zahl der Patienten wächst. Michael Okun ist Professor für Neurologie an der Universität von Florida in Miami und Medizinischer Direktor der Amerikanischen Parkinson-Stiftung.
Okun will zusätzlich auf die Verbindungen hinweisen, die er zur Corona-Pandemie sieht. Er ist überzeugt, dass es direkte und indirekte Zusammenhänge zwischen der akuten und der chronischen Erkrankungswelle gibt. Medizinische und wissenschaftliche Zusammenhänge, die zum Teil bedrohlich sind. Die Symptome von Menschen, die eine Corona-Infektion lange nicht überwinden können, ähneln oft Parkinson-Anzeichen.
Manche Experten fürchten deshalb bereits einen Anstieg der Parkinson-Diagnosen in den Jahren nach der aktuellen Pandemie, Studien, die die Zusammenhänge untersuchen, sind angelaufen. Für die Parkinson-Forschung könnte sich das als Schub erweisen, meint Michael Okun.
Weltweit leben mehr als zehn Millionen Menschen mit Parkinson. In den USA sind es etwa 1,2 Millionen, in Deutschland rund 400.000. Die Zahl der Betroffenen steigt, vor allem, weil die Menschen älter und die Diagnoseverfahren genauer werden.
Parkinson ist nach Alzheimer die zweithäufigste neurodegenerative Erkrankung. Sie betrifft das zentrale Nervensystem. Frühe Symptome können Verstopfung, Schlaf- und Riechstörungen sein, später kommen motorische Störungen wie Zittern, Muskelsteifheit und Schwindel hinzu, die mit der Zeit stärker werden. Die Patienten leiden häufig unter sozialer Isolation und Depressionen.
Es beginnt damit, oft lange vor den ersten Symptomen, dass sich in einem Teil des Gehirns, der Substantia nigra, Eiweiße ablagern. Nervenzellen sterben ab, die Produktion des Botenstoffs Dopamin sinkt, der eine Schlüsselrolle bei der Signalübermittlung zwischen Gehirn und Muskulatur spielt.
Was löst Parkinson aus?
Forscher können bisher nicht sicher sagen, warum Parkinson ausbricht. Man weiß, dass Menschen, die ein Schädel-Hirn-Trauma erlitten haben, ein erhöhtes Risiko haben, es gibt auch erbliche Veranlagungen. Es gibt die Vermutung, dass Umwelteinflüsse eine Rolle spielen; so könnten Nervengifte, die zum Beispiel in Pestiziden enthalten sind, ein Auslöser sein. Das würde erklären, warum inzwischen häufiger jünger Menschen erkranken.
Und noch eine weitere Theorie wird unter Forschern diskutiert: Die Erkrankung könnte im Darm beginnen, die Proteinablagerungen würden sich von dort ins Gehirn ausbreiten. Heilbar ist Parkinson bisher nicht, Patienten werden mit Dopamin behandelt, die Medikamente haben oft unangenehme Nebenwirkungen. Auch regelmäßiger Sport und Bewegungstherapie können den Krankheitsverlauf verlangsamen.
Wie andere chronisch erkrankte Menschen trifft die Corona-Pandemie auch Parkinson-Patienten hart. Sie gehören zur Risikogruppe, wenn sie sich mit dem Coronavirus infizieren, haben sie häufig einen schwereren Verlauf und ein größeres Risiko, an Covid-19 zu sterben.
Zudem leiden sie unter den Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie besonders stark, sagt Holly Shill, Ärztin und Parkinson-Forscherin am Barrow Neurological Institute in Phoenix im US-Bundesstaat Arizona. „Parkinson ist eine Krankheit, die an sich schon einsam macht.“
Deshalb sei es neben der medikamentösen Behandlung wichtig, dass die Patienten regelmäßig „Sport treiben, soziale Kontakte pflegen, rausgehen“, sagt Shill. Die Lockdown-Wellen hätten diese Aktivitäten ausgebremst. Als auch Physiotherapeuten und Sprachtherapeuten ihre Arbeit zeitweilig aussetzen mussten, habe sich der Zustand einiger ihrer Patienten „drastisch verschlechtert“, sagt Shill.
Auch liegen zahlreiche Forschungsprojekte und klinische Studien zu Parkinson auf Eis oder laufen nur langsam wieder an, vor allem Studien, die regelmäßigen Kontakt mit Probanden erfordern. Die Arbeit von Patientenorganisationen leidet ebenfalls.
„Die Pandemie hat unsere Planungen komplett umgeworfen,“ sagt Jörg Karenfort, Mitbegründer und Vorstand der gemeinnützigen Yuvedo-Stiftung mit Sitz in Berlin. Die Stiftung bringt führende Köpfe aus Wissenschaft, Industrie und Politik in Europa zusammen, um die Parkinson-Forschung voranzutreiben und fördert ferner Bewegungstherapien.
Schon bei der Spanischen Grippe wunderten sich die Ärzte
Jörg Karenfort lebt selbst seit sechseinhalb Jahren mit der Erkrankung. Er geht offen mit der Diagnose um, im Beruf wie im Privatleben, auch wenn das zunächst „brutal schwer war“, wie er sagt. Der 51-Jährige ist Kartellanwalt und Partner in einer internationalen Kanzlei in Berlin. Er habe bislang einen relativ milden Verlauf, sagt er. Damit das möglichst lange so bleibt, achte er auf seine Ernährung, lege Fastenkuren einund treibe viel Sport, auch während der Pandemie.
Seine Stiftung hat ihre Projekte den Umständen angepasst. Eine für 2020 geplante Fahrradtour mit 300 Teilnehmern und unter Schirmherrschaft von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn, die von Düsseldorf über Brüssel nach Amsterdam hatte führen sollen, fand im September in kleinerem Format statt. 30 Radler fuhren von Köln nach Baden-Baden. „Uns ist wichtig, dass das Thema Parkinson trotz Covid auf dem öffentlichen Radar bleibt“, sagt Karenfort.
Es sollte auf dem Radar bleiben – schon weil es in den nächsten Jahren womöglich zu einem noch weitaus größeren Problem werden könnte. Ein Teil der Covid-19-Patienten könnte langfristig von „neurodegenerativen Folgeerkrankungen wie Alzheimer, Demenz und Parkinson“ betroffen sein, fürchtet Pierluigi Nicotera, Professor für Neurologie und wissenschaftlicher Vorstand des Deutschen Zentrums für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE).
In der internationalen Fachzeitschrift „Cell“ warnten Autoren sogar vor einem „perfekten Sturm“: Weil viele Menschen in der ohnehin alternden Gesellschaft eine Corona-Infektion durchgemacht haben, könnte die Zahl der Parkinson-Diagnosen in den kommenden Jahrzehnten steil ansteigen.
Die Befürchtungen stützen sich bisher vor allem auf die Beobachtung von Menschen, die sich von ihrer Infektion mit dem Coronavirus nur langsam erholen. Bei einem Teil von ihnen werden Symptome beobachtet, die denen einer Parkinson-Erkrankung ähneln: verlangsamte Bewegungen, Muskelsteifheit, Zittern. Die Störung des Geruchssinns, die häufig in der Frühphase von Covid-19 auftritt, kann auch ein erstes Anzeichen für Parkinson sein.
Die Beobachtungen rufen Erinnerungen an die Spanische Grippe wach, jene Influenza-Pandemie, der zwischen 1918 und 1920 weltweit 20 bis 50 Millionen Menschen erlegen sind. Auch damals entwickelte ein Teil der Grippepatienten später Parkinson-Symptome. Der Neurologe Michael Okun sagt, er sei besorgt, doch die bislang aufgetretenen Fälle „liefern noch keinen Beleg, dass es einen kausalen Zusammenhang gibt“. Studien seien angelaufen.
Aus ersten Untersuchungen weiß man, dass die Gehirne mancher Covid-19-Patienten in der Kernspintomografie entzündliche Regionen aufweisen – es fehlen jedoch in der Regel die für die klassische Parkinson-Erkrankung typischen Ablagerungen von Alpha-Synuclein-Proteinen in den Nervenzellen.
Eine Entwarnung also? Auch wenn die Symptome viele Covid-19-Patienten an Parkinson erinnerten, handele es sich „nicht um die Parkinson-Erkrankung im eigentlichen Sinne“, sagt Günter Höglinger, Direktor der Klinik für Neurologie an der Medizinischen Hochschule Hannover und Vorsitzender der Deutschen Parkinson-Gesellschaft. Höglinger bereiten die Entzündungen im Gehirn trotzdem Sorge. Anhaltende Entzündungsprozesse seien ein Risikofaktor für Parkinson.
Sichere Erkenntnisse werden erst Langzeitstudien liefern. In Deutschland wurde das „Nationale Pandemie Kohorten Netz“ (Napkon) gegründet, um Menschen nach einer überstandenen Corona-Infektion zu beobachten, Universitäten und Kliniken beteiligen sich und führen detaillierte Patientenregister. Auch in den USA laufen Langzeitstudien zu den neurologischen Folgen von Covid-19.
Für die Studien, die sich mit dem Coronavirus und seinen Folgen befassen, gibt es momentan hohe Forschungsbudgets. Das dürfe nicht zulasten der Erforschung anderer Krankheiten gehen, sagen Wissenschaftler wie der Parkinson-Forscher Michael Okun. Im Gegenteil, es sollte ein Ansporn sein, mehr zu investieren. Die schnellen Erfolge bei der Suche nach Impfstoffen gegen Sars-CoV-2 hätten gezeigt, was man erreichen kann, wenn man Wissen und Ressourcen weltweit bündele.
„Wenn wir einen Durchbruch bei der Erforschung neurodegenerativer Erkrankungen erzielen wollen, müssen wir deutlich mehr investieren, weltweit“ sagt Okun. Im Moment würden einige Hundert Millionen Dollar pro Jahr investiert – doch es müssten mehrere Milliarden Dollar pro Jahr sein, davon ist Okun überzeugt.
Auch der Anwalt und Patientenvertreter Jörg Karenfort glaubt, dass die fokussierte Suche nach einem Covid-Vakzin als eine Art Roadmap für die Parkinson-Forschung dienen könnte. Es gehe jetzt darum, Anreize für die Pharmaforschung zu schaffen und Teile der Gelder aus den Corona-Wiederaufbautöpfen in den Gesundheitsbereich, darunter in die Erforschung von Parkinson, zu investieren. „Das fördert kurzfristig die Wirtschaft, verringert mittelfristig die Folgen von Covid-19, dürfte langfristig billiger sein und schafft neue Perspektiven für die Betroffenen.“
Anzeichen, dass die Corona-Pandemie die Therapie und die Erforschung von Parkinsonbeeinflusse, gebe es bereits, sagt Michael Okun. So habe der Lockdown die Telemedizin bei der Behandlung gezwungenermaßen fest etabliert. Auch spielten einige Aspekte, auf die sich die Parkinson-Forschung derzeit konzentriere – wie die Rolle von Entzündungsprozessen und Immunreaktionen im Gehirn – auch bei der Erforschung von Covid-19 eine Schlüsselrolle. Von den Erkenntnissen könne sein Fachgebiet nur profitieren: „Die Corona-Pandemie wird die Parkinson-Forschung vorantreiben.“
© WeltN24 / Katja Ridderbusch