9. November 2016
Auch im konservativen Bibelgürtel haben Wähler und Wahlkämpfer nicht wirklich mit einem Sieg von Donald Trump gerechnet. Impressionen vom Wahltag aus Atlanta, der Hauptstadt von Georgia
Von Katja Ridderbusch
Atlanta -- Sheena Jones und Carilee Rowe kennen einander nicht, aber beide wollen, dass der Wahltag vorbei ist, der Wahlkampf, das Wahljahr. Beide stehen um kurz nach sieben Uhr am Dienstagmorgen, noch ist es dunkel, in der Schlange vor ihrem Wahllokal, einer kleinen Kirche aus rotem Backstein in Atlanta im US-Bundesstaat Georgia.
"Ich wähle Hillary Clinton", sagt Jones, 41, Afroamerikanerin, warme Stimme, das Kraushaar im robusten Pferdeschwanz gebändigt. "Ich mag sie nicht besonders, aber sie ist die einzige Option." Jones hat gehofft, dass Clinton weiterführt, was Barack Obama begonnen hatte. Wichtig ist ihr vor allem die Krankenversicherung, die sie dank Obamacare, der Gesundheitsreform des Präsidenten, erworben hat. Die alleinerziehende Mutter von drei Kindern hat einen Teilzeitjob am Flughafen, der keine Sozialleistungen umfasst. Jones freut sich außerdem, "dass jetzt wahrscheinlich eine Frau ins Weiße Haus einzieht". Sie sagt "wahrscheinlich", aber eigentlich sei sie ziemlich sicher, sagt sie.
Carilee Rowe fingert nervös in ihrer hibiskusroten Schultertasche. Die 50-Jährige, hager, blass, mit hochgezogenen Brauen über großgeschminkten Augen, ist eine Donald-Trump-Wählerin. "Vor allem wegen der Wirtschaftspolitik", sagt sie knapp, "Trump ist ein Macher, er wird Wachstum bringen", und ihre Stimme klingt gereizt, sie klingt, als habe sie das schon sehr oft gesagt. Rowe ist Beraterin für Immobilienfinanzierung, ihr Mann besitzt eine Baufirma. "Clinton steht für Regulierung. Das schadet kleinen Unternehmern." Ob sie als Frau Probleme mit Trump habe? "Wen Trump anmacht oder nicht, ist mir vollkommen egal", sagt sie. "Mich interessiert nur seine Politik." Wie sie die Chancen ihres Kandidaten einschätze? Sie zuckt die Schultern. "Warten wir's ab."
Nach einer halben Stunde verlassen Jones und Rowe das Wahllokal. An der Kreuzung zur Hauptstraße stehen zwei einsame Wahlkämpfer. Der eine schwenkt müde eine Hillary-Fahne. Der Zweite tippt mit einer Hand auf seinem Handy, mit der anderen hält er ein Schild mit dem Trump-Slogan "Make America Great Again", seitenverkehrt.
19 Stunden später. Der fensterlose Ballsaal eines Nobelhotels in Atlanta explodiert im Jubel. Hunderte von Menschen, viele in roten Shirts und roten Baseballkappen, reißen die Arme in die Luft; Girlanden und Sträuße aus Luftballons in Weiß, Rot und Blau tanzen in der Luft. Es ist halb drei Uhr morgens; die TV-Sender haben gerade Trumps Wahlsieg verkündet. Auch Carilee Rowe ist bei der Wahlparty der Republikaner dabei. Sie nimmt einen Schluck aus ihrem Weinglas. "Ehrlich", sagt sie, "damit habe ich nicht gerechnet." Und nach einer Pause, lachend: "Jetzt wird alles anders in Amerika."
Trump holte wie erwartet die konservativen Südstaaten; auch in Georgia siegte der Republikaner mit einem Vorsprung von sechs Prozent. Eine Wählergruppe, die in Georgia stark vertreten ist und auf die Clinton gebaut hatte, zeigte sich weniger loyal als erwartet: 88 Prozent der Afroamerikaner stimmten nach Erhebungen des Nachrichtensenders CNN für Clinton. 2012 hatten 93 Prozent für Barack Obama gestimmt, 2008 gar 96 Prozent.
Sheena Jones hat den Wahlabend vor dem Fernseher in ihrem Apartment im Osten von Atlanta verbracht. "Wow", sagt sie nur, als Bundesstaat für Bundesstaat an Trump geht. "Wow." Dann lange gar nichts. Was sie morgen tun werde? "Zur Arbeit gehen, wie immer." Und am Nachmittag mit ihrer Tochter zum Zahnarzt. "Solange wir noch eine Krankenversicherung haben."
© Der Standard / Katja Ridderbusch